Gotthold Fengler – Buchbesprechung

Ein Gestapo-Beamter als Informant einer Frankfurter Widerstandszelle

Noch immer wird der Umsturzversuch des „20. Juli“ verengt als rein militärischer Widerstand. Axel Ulrich hat mit seinen Forschungen dazu beigetragen, die reichsweiten zivilen, vor allem gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Strukturen offen zu legen, die nicht zuletzt durch das Wirken Wilhelm Leuschners eine wichtige Rolle gespielt hätten, wenn das Attentat Stauffenbergs erfolgreich gewesen wäre. Die Untersuchung von Petra Bonavita ist als eine Fortsetzung dieser Bemühungen Ulrichs auf lokaler Ebene zu betrachten. Die vorliegende Arbeit über Gotthold Fengler befasst sich mit einer kleinen Widerstandszelle in Frankfurt am Main, die zum weit verzweigten Vertrauensleutenetz Leuschners zählte.

Im Rahmen seiner Recherchen erhielt Ulrich vor Jahren vom Sohn Jakob Steffans, einer zentralen Figur des Leuschner-Netzwerks in Rhein-Main, die Kopie einer Schrift des Kriminalrats Christian Fries. Bei Fries handelte es sich um die Schlüsselfigur dieser Frankfurter Widerstandszelle, die ihre Weisungen erhielt für den Fall, wenn das Attentat auf Hitler geglückt wäre. Der für Fries wichtigste Verbindungsmann zur Gestapo wiederum war Gotthold Fengler, dem die Autorin sich in dem schmalen Band widmet.

Gotthold Fengler (1898-1947) war ein Frankfurter Kriminalbeamter, der sich seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wenig konform verhalten hatte. Er versorgte Fries mit wichtigen Informationen zu geplanten Razzien und Verhaftungen. Bonavita zeigt, wie Fengler seine Handlungsspielräume in der Frankfurter Gestapo-Zentrale nutzte und somit Menschenleben rettete. So zum Beispiel Friedrich Scheuer, der dank einer Warnung Fenglers der Deportation in ein Konzentrationslager entging und stattdessen nach der Pogromnacht von 1938 mit seiner Ehefrau in die USA ausreisen konnte. Ausführlich beschreibt die Autorin den Fall des in Frankfurt hochangesehenen Hautarztes Dr. Karl Herxheimer. Dieser sollte zusammen mit seiner Frau in die Schweiz fliehen. Fengler hatte die gefälschten Pässe besorgt, dennoch misslang die Flucht. Zeitgleich zu diesen Fluchtvorbereitungen bewarb sich Fengler für den Eintritt in die Waffen-SS, was ihn nach dem Krieg stark belasten sollte. Über die Beweggründe kann mangels Dokumenten nur spekuliert werden, jedoch liegt die Vermutung nahe, dass er hoffte, seine widerständigen Handlungen besser tarnen zu können oder effektiver an Informationen zu gelangen. Der Kriminalbeamte beriet auch die Familien Ungerer und Schönthal, auf die es die Gestapo abgesehen hatte.

Wichtig für seine Widerstandsaktivitäten war die Freundschaft zu Gustav Weigel, der ein Wettbüro im Frankfurter Bahnhofsviertel unterhielt. Das Wettbüro war ein idealer Treffpunkt zum unauffälligen Austausch von Informationen. In den Unterlagen der Frankfurter Gestapo finden sich Informationen zu vier Personen, denen Fengler half, indem er die Beschuldigungen entschärfte, wodurch diesen Menschen schwere Verfolgungen erspart blieben. Beispielsweise riet er einer Frau, sich „seltsam“ zu verhalten, um sie dadurch an einen Psychiater zu überweisen, mit dem er zusammen arbeitete. Die Frau entging so der Gestapo-Haft. Zudem fälschte er Verhörprotokolle, um Aussagen im Sinne der Beschuldigten abzuschwächen.

Ende 1943 wurde Gotthold Fengler in die Gestapo-Außendienststelle Wetzlar versetzt. Für widerständiges Verhalten existieren wenig konkrete Belege, jedoch unterschied sich sein Verhalten deutlich gegenüber dem scharfen Auftreten eines Kollegen. Er soll auch der Unternehmerfamilie Leitz, die ins Visier der Gestapo geraten war, geholfen haben. Trotzalledem wurde er nach dem Krieg als Belasteter der Kategorie 1 (stärkste Kategorie) eingestuft. Es besteht laut Bonavita der berechtigte Verdacht, dass zwölf eidesstattliche Erklärungen, die den Beschuldigten entlastet hätten, unterschlagen wurden. Ein Gestapo-Beamter, der dem zivilen Widerstand zuarbeitete, habe nicht ins Deutungsschema der Alliierten gepasst. Die eidesstattlichen Erklärungen, die Fenglers Familie zur Entlastung gesammelt hatte, sind als zentrale Beweisstücke leider bis heute in keinem Archiv gefunden worden. Der Beschuldigte schlug im März 1945, als die amerikanischen Truppen sich Wetzlar näherten, ein Angebot des Fürsten zu Solms, sich in dessen Jagdhaus zu verstccken, mit folgenden Worten aus: „Ich brauche das nicht. Ich habe ein gutes Gewissen. Wenn über mich verhandelt wird, wird sich das alles rausstellen, dass ich dagegen war.“ Das war eine fatale Fehleinschätzung, denn es folgte eine Internierung im Kriegsgefangenenlager. Gotthold Fengler erkrankte dort schwer und starb schließlich am 27. März 1947 im Lazarett Schloss Velen. Erst nach seinem Tod wurde er entlastet und rehabilitiert.

 

Das wichtige Buch von Petra Bonavita bietet am Beispiel Frankfurts einen handfesten Einblick, wie das reichsweite zivile Widerstandsnetz Leuschners auf lokaler Ebene funktionierte. Weitere Forschungen dieser Art sind wünschenswert. Und nicht zuletzt ist es die tragische Geschichte eines Kriminalbeamten, der seine engen Spielräume im Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu nutzen versuchte in einer, wie es die Autorin beschreibt, täglich neu zu treffenden Gratwanderung zwischen Anpassung und Abwehr.

 

Petra Bonavita: Nie aufgeflogen. Gotthold Fengler. Ein Gestapo-Beamter als Informant einer Widerstandszelle im Frankfurter Polizeipräsidium. Berlin 2013, epubli GmbH.

(Andreas Dickerboom)