Kämpfer für die Einheitsfront gegen Hitler

Grundlegende Monographie von Axel Ulrich würdigt Carlo Mierendorff

Carlo Mierendorf etwa 1926/1927

Carlo Mierendorf etwa 1926/1927

Mehr als 30 Jahre nach der Biographie von Richard Albrecht würdigt der Wiesbadener Widerstandsforscher Dr. Axel Ulrich mit dem Buch "Carlo Mierendorff kontra Hitler", das 2018 unter Mitarbeit von Angelika Arenz-Morch im Thrun-Verlag erschienen ist, die Bedeutung dieses aufrechten Mannes für die deutsche Widerstandsbewegung, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die zivile Basis des Umsturzversuchs des "20. Juli". Viele neue Aspekte, so die Aktivitäten Mierendorffs im Frühjahr 1933 unmittelbar nach der sogenannten "Machtergreifung" mit dem Aufbau einer illegalen Bewegung in Südhessen, oder auch dessen starker Einfluss auf den Kreisauer Kreis sowie die enge Zusammenarbeit mit Wilhelm Leuschner, einem weiteren wesentlichen Akteur des Widerstands, lohnen schon allein die Lektüre. Um es mit den Worten von Peter Steinbach, dem Nestor der deutschen Widerstandsforschung, im Vorwort zu sagen: "... Ulrich und Arenz-Morch gelingt [es], Mierendorffs Leistungen einer Orientierung in seiner bedrängenden Lebenszeit auch in unsere Gegenwart zu tragen."

Carlo Mierendorff wurde 1897 in Großenhain (Sachsen) geboren, zog mit seinen Eltern jedoch schon im Alter von zehn Jahren nach Darmstadt. Seit 1920 Mitglied der SPD, war er Pressereferent des damaligen hessischen Innenministers Wilhelm Leuschner. 1930 wurde er als jüngster SPD-Abgeordneter Mitglied des Reichstags. Schon vor der "Machtergreifung" Hitlers war er entschiedener Kämpfer gegen den aufkommenden Nationalsozialismus und engagiert im "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" sowie in der "Eisernen Front", für die er zusammen mit Sergej Tschachotin das bekannte Symbol der drei Pfeile entwarf.

Der Autor bietet keine klassische Biographie, sondern konzentriert sich auf die antinazistischen Tätigkeiten schon während der Weimarer Republik bis hin zum tragischen Tod bei einem Luftangriff der britischen Royal Air Force im Dezember 1943 in Leipzig. Aus der heutigen Sicht ist klar, dass er aufgrund seiner starken Verstrickung in die Umsturzaktivitäten des "20. Juli" den Krieg nicht überlebt hätte. So hatte Mierendorff selbst geahnt, was folgen würde, sollte ein Umsturz nicht von Erfolg gekrönt sein: "Von jetzt an geht es nur noch aufwärts, entweder an die Macht oder an den Galgen."

Es ist ein Verdienst Ulrichs, Mierendorffs frühe Widerstandsaktivitäten insbesondere in Südhessen zu Beginn der NS-Herrschaft zu beleuchten. Durch einen denunziatorischen Artikel der kommunistischen revolutionären Gewerkschaftsopposition waren sowohl Mierendorff als auch dessen Mitstreiter Siegfried Höxter in große Gefahr geraten. Diese beiden wie auch Heinrich G. Ritzel zählten zu den bedeutenden Kräften des anfänglichen konspirativen Widerstands im Rhein-Main-Gebiet. Axel Ulrich konnte hier auf umfangreiche jahrzehntelange Recherchen, die in seinem Standardwerk über den politischen Widerstand gegen das "Dritte Reich" im Rhein-Main-Gebiet (Thrun-Verlag 2006) nachzulesen sind, zurückgreifen. Und auch darum ist das vorliegende Werk so wichtig: Trotz Ulrichs langjähriger Kärrner-Arbeit muss festgehalten werden, dass die Kenntnisse dieser konspirativen Aktivitäten Mierendorffs und seiner Mitstreiter noch immer von bemerkenswerter Lückenhaftigkeit sind.


Und ein zweiter Aspekt ist hervorzuheben: Carlo Mierendorff war eine zentrale Figur der von Wilhelm Leuschner angeführten sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Widerstandsbewegung, die als zivile Basis des militärischen Umsturzversuchs des 20. Juli 1944 viel bedeutender war, als lange angenommen. Nicht zuletzt die Monographie des Autors zu Wilhelm Leuschner (Thrun-Verlag 2012) hat vor Augen geführt, wie umfangreich dessen reichsweites Vertrauensleute-Netzwerk war. Ein besonders enger Vertrauter war eben Mierendorff, der neben Theodor Haubach und anderen zu den wichtigsten Vertretern der demokratischen Linkskräfte zählte, die für die Legitimation der führenden Kräfte des Kreisauer Kreises, wie Graf von Moltke oder Graf York von Wartenburg, unabdingbar waren.

Ulrich stützt sich in seinen Betrachtungen auf Emil Henk, dessen wichtiger Bericht über die Vorgeschichte des "20. Juli", erschienen kurz nach Kriegsende, auch im Dokumentationsteil des vorliegenden Buchs abgedruckt ist. Der Henk-Bericht stützt noch einmal die These Ulrichs, dass es ohne Gewerkschaften und Sozialdemokratie und deren führende Köpfe, zu denen Leuschner und Mierendorff zählten, keinen "20. Juli" gegeben hätte. Letzterer, so Henk, sei der "begabteste Mann der ganzen politischen Opposition gewesen.

Carlo Mierendorff musste während der NS-Zeit mehrere Gefängnisaufenthalte und Konzentrationslager durchleiden, darunter das Emslandlager Börgermoor, das KZ Lichtenwald sowie das KZ Buchenwald. Mierendorff wie auch Leuschner, der zeitweise sein Mithäftling war, verkörperten dort, wie der kommunistische Mithäftling Wolfgang Langhoff (Autor der "Moorsoldaten") später berichtete, die antinazistische Einheitsfront. In seinen letzten Lebensmonaten stand Mierendorff vor allem mit Julius Leber und Adolf Reichwein im Gedankenaustausch, wie nach einer deutschen Niederlage diese Einheit aus KPD und Sozialdemokratie herbeigeführt werden könnte.

Es ist dem Autor zudem ein Anliegen, auf ein weiteres wichtiges Vermächtnis des bedeutenden Widerständlers hinzuweisen. Viele lokale und regionale Akteure des zivilen Widerstands konnten auch dank Mierendorffs Wirken nach dem 20. Juli 1944 auf Tauchstation gehen und waren nach Kriegsende wichtige Männer und Frauen bei der Wiederherstellung demokatischer Strukturen, so beispielsweise Jakob Steffan, Ludwig Metzger, Ludwig Bergsträsser, Willi Richter, Willi Brundert oder Elisabeth Schwamb.

Carlo Mierendorff dachte und wirkte im Kampf gegen Hitler und den Nationalsozialismus visionär und über politische Grenzen hinaus. Axel Ulrichs verdienstvolle Monographie ist der Lektüre empfohlen, weil dieser aufrechte Widerständler uns auch heute noch viel zu sagen hätte.


Axel Ulrich: Carlo Mierendorff gegen Hitler
Ein enger Mitstreiter Wilhelm Leuschners im Widerstand gegen das NS-Regime

Unter Mitarbeit von Angelika Arenz-Morch
Mit einem Vorwort von Peter Steinbach
Wiesbaden: Thrun-Verlag, 2018. 175 Seiten

Zu beziehen ausschließlich über die Landeszentralen für Politische Bildung Hessen sowie Rheinland-Pfalz! (siehe Opens external link in new windowwww.hlz.hessen.de)

Copyright Bilder: Landeszentralen für Politische Bildung Hessen und Rheinland-Pfalz


(Eine Besprechung von Andreas Dickerboom)